Befehligt und erobert: Die tragische C&C-Story nach dem erneuten Aus

2022-04-21 06:41:55 By : Mr. Bill ZenithMachinery

Electronic Arts stellt den Free2Play-Ableger von Command & Conquer ein und löst gleichzeitig das verantwortliche Entwicklerstudio Victory Games auf. Die Trauer hierüber dürfte sich bei vielen Fans in Grenzen halten, denn für sie ist die Echtzeit-Strategiereihe seit dem Untergang von Westwood gestorben. Wir zeichnen die C&C-Geschichte für euch nach - von den glorreichen Anfängen bis zum Status quo.

Irgendwo im "Leitfaden für erfolgreiche Existenzgründungen" muss es ein Gesetz geben, das den Besitz einer Garage vorschreibt. Befolgt haben dies unter anderem Bill Gates oder Apple-Gründer Steve Jobs – und eben Louis Castle und Brett W. Sperry anno 1985, als sie Westwood in Las Vegas aus der Taufe heben. Fast forward: Dune 2, Kyrandia, Lands of Lore, Command & Conquer – so viel Erfolg weckt Begehrlichkeiten. Im September 1998 war es dann so weit: EA übernahm Westwood von Virgin Interactive; die beiden Chefs werden mit Fünf-Jahres-Verträgen festgezurrt.

Ende März 2003, nach fast 17 Jahren Westwood Studios, hieß es an der Tiberium-Pilgerstätte: "Der Letzte macht das Licht aus" – Westwood Studios wurde aufgelöst, die Belegschaft mit EA Pacific (bislang im kalifornischen Irvine) in einem neuen Mega-Studio in Los Angeles zusammengelegt, wo zunächst 200, in den kommenden Jahren bis zu 500 Menschen Computerspiele entwickeln werden. Nicht jeder Westwood- Mitarbeiter wird das Job- Angebot wahrnehmen. Wer in der Branche bleiben möchte, muss in jedem Fall an die Westküste ziehen, will er nicht Spielautomaten warten oder Blackjack-Karten austeilen. Denn wie die Tageszeitung Las Vegas Review Journal feststellt, ist (beziehungsweise war) Westwood der einzige Computerspiele-Hersteller in der Glücksritter-Stadt.

Warum ausgerechnet Los Angeles? Wo Mieten und Luftverschmutzung so viel höher sind als in Vegas? Der Erfolg von EA Sports im kanadischen Vancouver (dort arbeiten allein an FIFA über 100 Entwickler) hat eines gelehrt: Alles unter einem Dach funktioniert besser als viele über den halben Globus verstreute Mini-Büros. Teure Anlagen wie Motion- Capturing-Systeme und Tonstudios lassen sich besser auslasten. Noch wichtiger: Einmal entwickelte Technologien kommen sofort anderen Spielen zugute. Beispiel C&C Generals:

C&C Generals ist das erste Spiel der renommierten Strategieserie, das bei EA Los Angeles entstanden ist. Quelle: EA Die Routinen für die Errichtung von Gebäuden (mitsamt der Gerüste und Kräne) stammen aus Sim City 4, für die Animation der Zivilisten und Soldaten wurde auf Tools aus Die Sims zurückgegriffen, der "Matrix-Slowmotion- Effekt" taucht sowohl im Ego-Shooter James Bond 007: Nightfire als auch in Need for Speed: Hot Pursuit 2 auf – wenn der Aston Martin zum Sprung über die Kuppe abhebt und in C&C Generals die Kamera um die Explosion rotiert, werkeln ähnliche Programmzeilen.

Nicht zuletzt ist Hollywood um die Ecke: Statt abgehalfterten Zauberern, Elvis-Imitatoren und Wedding- Chapel-Priestern gibt es hier Grafik-, Effekt- und Sound-Profis, Regisseure, Drehbuchautoren, Synchronsprecher. All das also, was für die Spiele der kommenden Jahre gebraucht wird. Umgekehrt sind die EA-Charaktere und -Stoffe auch für Warner, Columbia und Dreamworks von Interesse: Zumindest Medal of Honor: Allied Assault (dt.) galt seinerzeit als heißer Leinwandkandidat.

Das Aus für Westwood als eigenständiges Studio markierte den vorläufigen Höhepunkt einer regelrechten Command & Conquer-Strategie: EA kaufte ein Top-Studio nach dem anderen, die Spiele-Marken blieben bestehen, doch die Identität der Studios trat nicht mehr nach außen in Erscheinung und irgendwann wurde daraus eben "EA Games". So geschehen bei Origin (Ultima, Wing Commander), bei Bullfrog (Dungeon Keeper, Populous) und später bei Westwood. Nur Maxis (Die Sims, Sim City) darf noch Maxis heißen. Noch. "Die Konsumenten lassen sich nicht täuschen", war man bei EA schon vor vielen Jahren überzeugt. "Ob Sie heute Westwood oder EA in den Vordergrund stellen, ist weniger wichtig als die Produktqualität." Daher wurde entschieden, nur noch dreigleisig zu fahren – EA Games, EA Sports und EA.com.

Genauer gesagt sind es heute nur noch zwei Gleise: Nach millionenschweren Abenteuern wie dem Online-Thriller Majestic werden inzwischen auch alle Internet-Aktivitäten unter EA Games geführt, darunter auch das mit mäßigem Erfolg angelaufene Sims Online. Louis Castle bedauerte die Westwood-Schließung, sagte aber: "Es ist die absolut richtige strategische Entscheidung – für Electronic Arts und die Aktionäre." Spekulationen, wonach er eine neue Firma startet, wurden dementiert: "Ich bleibe bei Electronic Arts." Eines der Entwicklungsteams wird unter seiner Leitung stehen. Ganz anders Brett Sperry, Erfinder von Command & Conquer, der sich offiziell ein mehrmonatiges "Sabbatical" gönnte – also eine berufliche Auszeit. In dieser Zeit scheinen sich die Lebenspläne grundsätzlich verändert zu haben – Insider sagten damals: Es wird kein Comeback für Sperry geben, zumindest nicht bei EA.

"Command & Conquer Generals was inspired by the original Command & Conquer created by Westwood Studios", heißt es in den Generals-Danksagungen – in diesem Tenor werden sonst nur Grabinschriften verfasst. Bereits 2000 orakelte PC Games in einer Kolumne: "Westwood? Nie gehört! Schon in wenigen Jahren werden sich nur noch die Älteren unter uns an die Kultfirma erinnern." Anders als Blizzard (Warcraft, Diablo, Starcraft) hat Westwood nur eine einzige beständige Serie hervorgebracht: Command & Conquer. Und die beste Folge seit C&C 1, nämlich Generals, kommt ausgerechnet von EA Pacific. Die Geschichte von C&C wird nun von Los Angeles aus fortgeschrieben.

Zurück zu den Wurzeln - Command & Conquer 3: Tiberium Wars orientierte sich spielerisch deutlich an den erfolgreichen Westwood-Produktionen. Quelle: EA Im September 2003 präsentierte Electronic Arts mit "Die Stunde Null" ein vorbildliches Addon zu C&C: Generals. Danach verließ das das Los Angeles-Team das Generals-Universum, um sich zu den Ursprüngen zu begeben. Fans hofften auf eine Fortsetzung der Tiberium-Saga rund um den charismatischen NOD-Anführer Kane, wurden zunächst jedoch enttäuscht. Executive Producer Mark Skaggs teilte im Dezember 2004 mit, dass EA erst ein Command & Conquer: Alarmstufe Rot 3 in Angriff nimmt. Kurze Zeit später musste Skaggs aus unbekannten Gründen seinen Schreibtisch räumen, Mike Verdu sollte später seine leitende Position übernehmen.

Die Konzepte und Ideen für ein mögliches Red Alert 3 packte Electronic Arts erst einmal wieder in die Schublade. Verdu und sein Team verfolgten nun wieder die ursprüngliche Westwood-Vision. Das im April 2006 angekündigte Command & Conquer 3: Tiberium Wars kehrte zum tradionellen Gameplay zurück und vereint sämtliche Elemente, die die Echtzeit-Strategieserie weltweit erst so populär machten. Dazu zählt beispielsweise die klassische Einheiten- und Gebäudeproduktion mittels Schaltflächen am rechten Bildschirmrand, aber auch die Zwischensequenzen mit echten Schauspielern feiern ein Comeback.

Vermutlich parallel zur Produktion des Addons C&C 3: Kanes Rache begann EA LA mit den Arbeiten an C&C: Alarmstufe Rot 3. Im Oktober 2008 war bereits Release.Das Team bemühte sich sichtlich um ein anspruchsvolles Gameplay. Erstmals in der Geschichte der Command & Conquer-Reihe durften Hobby-Strategen Gebäude auf dem Wasser errichten. Ein Großteil der vorhandenen Truppentypen verfügt zudem über individuelle Fähigkeiten, die bei korrekter Anwendung den Schlachtverlauf beeinflussen können. Dass es EA ernst meinte, sah man auch an der Multiplayer-Beta, von der sich das Studio wertvolles Feedback zur Spielbalance erhoffte. Ähnlich populär wie StarCraft wurde C&C: Alarmstufe Rot 3 in der eSports-Szene allerdings nie.

Electronic Arts hielt die Qualität von Tiberium für unzureichend und zog den Stecker. Dabei waren die Arbeiten an dem Taktik-Shooter recht fortgeschritten. Quelle: Electronic Arts Mit dem 2002 veröffentlichten Renegade zeigte Westwood, dass Command & Conquer durchaus auch als Shooter funktionieren kann. Gerüchte um eine Fortsetzung ließen nicht lange auf sich warten, verstummten jedoch, als Electronic Arts das Studio eingestampft hat. Die Idee lebte allerdings weiter und so kündigte der Branchenriese im Januar 2008 mit Tiberium völlig überraschend einen Taktik-Shooter im C&C-Universum an. Tiberium sollte eine Brücke zum Strategietitel Command & Conquer 3: Tiberium Wars schlagen. Im Mittelpunkt stand die Geschichte eines GDI-Kommandosoldaten, der Zeuge der Invasion durch die außerirdischen Scrin wird.

Obwohl das gezeigte Bildmaterial überaus vielversprechend war, stellte EA den Tiberium-Shooter knapp zehn Monate nach der Ankündigung ein. "Das Spiel war nicht auf dem Weg, die hohen Qualitätsstandards des Teams und des EA Games Labels zu erfüllen. Ein qualitativ schlechteres Spiel ist nicht im Sinne des Käufers und verspricht nur wenig Erfolg am Markt", begründete der Publisher seinerzeit die Entscheidung. Aus dem Projektaus resultierten Entlassungen. Das dürfte sich der Branchenriese sicher anders vorgestellt haben, doch der absolute Tiefpunkt der Command & Conquer-Reihe sollte erst noch kommen.

Von Command & Conquer 4: Tiberian Twilight wünschen sich Fans, es hätte das das Strategiespiel nie gegeben. Denn die Fortsetzung verabschiedete sich vom klassischen Basisbau. Stattdessen kommandiert ihr eine mobile Einsatzzentrale namens "Crawler". Der gewaltige Mech lässt sich an beliebiger Stelle auf- und abbauen und produziert eine limitierte Anzahl von Einheiten. Das Ressourcenmanagement wurde ebenfalls entschlackt, den Rohstoff Tiberium müsst ihr in C&C 4 nicht mehr mit Sammlern abbauen. Stattdessen gilt es Kommandopunkte zu besetzen, die überall auf der Karte verteilt sind.

Das Spielkonzept setzte EA nur halbherzig um und auch die Geschichte, gewissermassen das Finale der Tiberium-Saga, ist hanebüchen und unfreiwillig komisch. In den meisten Tests der Fachpresse wurde C&C 4 entsprechend abgestraft. Den endgültigen Todesstoß versetzte dem Echtzeit-Strategietitel allerdings das seinerzeit neuartige Always On-DRM-System. Das Spielen ohne permanente Internetverbindung war nicht möglich. Frustrierte Käufer berichteten über regelmäßige Abstürze und damit einhergehend den Verlust des Spielfortschritts.

Mit Command & Conquer 4: Tiberian Twilight verspielte das Team von EA Los Angeles ihren Ruf. Obwohl die Verkaufszahlen zu wünschen übrig ließen, wollte Electronic Arts die einst so prestigereiche Serie nicht beerdigen. Die darauffolgenden Monate verbrachte der Branchenriese mit der Suche nach einem neuen, geeigneten Studio. Bioware stand schon bald als möglicher Kandidat im Raum. Am Ende fiel die Entscheidung Victory Games (ehemals als BioWare Victory bekannt). Unter der Leitung des Might & Magic-Schöpfers Jon Van Caneghem sollte ein wirklicher Neuanfang entstehen.

Free2Play? Nein, danke! Fans sagte die Free2Play-Ausrichtung des neuen Command & Conquer nicht zu. Der Alpha-Test brachte die Probleme zum Vorschein und bewegte EA schließlich zum Handeln. Quelle: EA Im Rahmen der Spike Video Game Awards 2011 kündigte Victory Games schließlich Command & Conquer: Generals 2 an. Die Fans waren euphorisiert, auch weil Electronic Arts bekannt gegeben hat, dass das Sequel auf die moderne Frostbite 3-Engine zurückgreift. Bombastischen Materialschlachten stünde damit nichts im Wege. Doch die Freude der Community währte nur kurz: Auf der Gamescom 2012 ließ Jon Van Caneghem die Bombe platzen. "Command & Conquer ist zurück - ein qualitativ hochwertiger neuer Titel mit Free2Play-Grundlage!"

Im Vordergrund stand das Multiplayer-Erlebnis, über eine mögliche Solo-Kampagne verlor Victory Games hingegen wenige Worte. C&C Fans reagierten erbost auf die Meldung. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Free2Play-Ausrichtung forderte die verärgerte Community EA in einer Online-Petition dazu auf, den nun eingeschlagenen Kurs zu überdenken. Die Proteste zeigten Wirkung, wenn auch nicht ganz in dem gewünschten Ausmaß. EA Games-Chef Frank Gibeau machte Zugeständnisse an die Fans und versprach, dass die Singleplayer-Kampagne nun doch nicht vom Tisch sei. An Free2Play wolle man aber dennoch festhalten.

Rund ein Jahr später folgt nun das Aus für Victory Games. Das Feedback aus dem Alpha-Test sei eindeutig, so ein Sprecher. "Wir machen nicht das Spiel, das ihr spielen wollt." Deshalb wurde beschlossen, das Echtzeit-Strategiespiel in der jetzigen Form zu beerdigen. Einmal mehr steht die Marke "Command & Conquer" vor dem Ruin. Ob es irgendwann zu einem Happy End kommt, ist derzeit unklar. Den treuen Fans wäre es Electronic Arts nach der tragischen Geschichte jedenfalls schuldig.

Der Beitrag stammt von Petra Fröhlich und Max Falkenstern