Zweiter Weltkrieg: Holzflugzeuge als Erfolgsmodell - DER SPIEGEL

2022-05-28 03:30:04 By : Mr. Tony Wang

Flugzeuge im Zweiten Weltkrieg: Jede Menge Holz am Himmel

Geoffrey de Havilland glaubte an Holz. Seit der Ingenieur 1908 in die Fertigung von Flugzeugen eingestiegen war, setzte er auf hölzerne Modelle. Seine "Tigermotten" DH.60 (ab 1925) und DH.80 (ab 1932) wurden zusammen fast 10.000 Mal verkauft und gehörten zu den erfolgreichsten Flugzeugen ihrer Zeit. Sie hatten den Insektenfreund de Havilland, der seine Maschinen gern nach Kerbtieren benannte, reich und berühmt gemacht und zu einem der führenden Konstrukteure Großbritanniens.

Als das britische Verteidigungsministerium im Oktober 1938 sein Konzept für einen neuen Bomber ablehnte, war er darum keineswegs bereit, das Nein zu akzeptieren.

Eigentlich sorgte die wachsende Kriegsgefahr für drängende Nachfrage. Doch dieses Flugzeug, das de Havilland da vorschlug, wollte die britische Regierung nicht: Einen extrem leichten Bomber, der höher und schneller fliegen könnte als jeder Jäger, versprach er. Auf zusätzliche Abwehrbewaffnung könne man daher glatt verzichten.

Unsinn, urteilte das Ministerium und forderte de Havilland auf, stattdessen einen Bomber nach Air-Force-Spezifikationen zu konstruieren - aus Aluminium.

Genau das hielt de Havilland aber für falsch. Wenn der Krieg komme, glaubte er, würde Aluminium schnell knapp und teuer. Holz hingegen werde verfügbar bleiben. De Havilland hatte das Geld und die Unabhängigkeit, sich seinen Trotz leisten zu können: Er beschloss, das von ihm vorgeschlagene Flugzeug auf eigene Kosten zu bauen - heimlich.

Den Luftkampf um England gewann die Holzklasse

Ein Glücksfall für Großbritannien, wie sich bald zeigen sollte. Als das Verteidigungsministerium am 25. November 1940 seinen Auftrag für den Bau von 50 Bombern an de Havilland erneuerte, ließ der noch am selben Tag seinen abgelehnten Bomber aufsteigen - eine symbolträchtige Watsche für die Militärstrategen.

In der Nähe von Hatfield startete die Maschine zum ersten Testflug, schrill gelb lackiert, damit sie nicht versehentlich von der Luftabwehr abgeschossen würde. Messungen und Schätzungen ergaben, dass sich diese "Mosquito" trotz doppelten Gewichtes 32 km/h schneller bewegt hatte als die legendäre "Spitfire", Englands schnellstes und modernstes Jagdflugzeug.

Zu diesem Zeitpunkt war eine Welle massiver deutscher Luftangriffe bereits gescheitert. Der "Spitfire" hatte die britische Propaganda den Sieg in der "Luftschlacht um England" angedichtet. In Wahrheit hatten Piloten das Gros der Flüge erfolgreich in der Hawker "Hurricane" absolviert und die meisten Abschüsse gemacht - doch die war aus Holz und stand darum vermeintlich für das Gestern der Luftfahrt.

De Havilland übermittelte die Daten seines Holzflugzeuges. Und stieß erneut auf Skepsis. Immerhin: Er bekam Gelegenheit, seine "Mosquito" Anfang Februar 1941 auf dem Testfeld Boscombe Down vorzuführen. Vertreter der Air Force und des Verteidigungsministeriums reisten an: skeptisch, wenn nicht ablehnend oder gar beleidigt wegen dieses ertrotzten Treffens. Die "Mosquito" stieg auf - und schlug alle Rekorde. Sie flog flotter als jeder Jäger ihrer Zeit, fast doppelt so schnell wie die üblichen Bomber.

Berliner Parade bombardiert, die Nazigrößen schäumten

Nur Stunden später hatte de Havilland einen Auftrag, der seine Fabriken zehn Jahre lang mit dem Bau von insgesamt 7781 Flugzeugen beschäftigen sollte. Die "Mosquito", zunächst nur als schneller Bomber und Nachtaufklärer eingeplant, wurde zum Erfolgsflieger der britischen Luftwaffe. Bald gab es kaum etwas, für das sie nicht eingesetzt wurde.

Denn die Versprechungen ihrer Konstrukteure hielten: Die "Mosquito" erwies sich als schnell, ausdauernd, spritsparend, effektiv. De Havilland ließ die Maschinen nicht nur in seinen Flugzeugwerken montieren, sondern bald auch in Großtischlereien. Schon beim ersten Kampfeinsatz entkam sie drei deutschen Jägern, indem sie ihnen einfach geradeaus davonflog.

Schnell begriffen die Briten den propagandistischen Nutzen. Für den Vormittag des 30. Januar 1943 planten die Nazis eine Berliner Parade zum zehnten Jahrestag ihrer Machtergreifung mit Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels und Luftwaffenchef Hermann Göring als Festredner. Doch die Feierlichkeiten wurden eilig abgebrochen: Zum ersten Mal bombardierten britische "Mosquitos" Berlin, ohne sich um Luftabwehr und Abfangjäger zu scheren.

Die Nazigrößen schäumten und verschoben die Parade auf den Nachmittag. Prompt folgte eine zweite Angriffswelle - und führte das großmäulige Göring-Wort, kein feindlicher Flieger werde jemals die deutsche Hauptstadt erreichen, einmal mehr ad absurdum. Alle "Mosquitos" kehrten an diesem Tag unbeschadet zu ihren Flugplätzen zurück. Überdeckt wurde die Nachricht von weit größeren Ereignissen: Tags darauf kapitulierten die deutschen Truppen in Stalingrad - ein Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs.

Erst zum Ende des Krieges kam mit der Messerschmitt Me 262 ein Jäger ins Spiel, mit dem die "Mosquito" nicht mehr mithalten konnte. Düsentriebwerke wurden parallel von mehreren Nationen entwickelt, aber nirgendwo schneller eingesetzt als in Deutschland. Das Nazireich galt als Hightech-Schmiede. Doch auch hier war nicht alles Metall, was glänzte.

Denn Leichtmetall wurde - wie von de Havilland vorausgesagt - bald überall knapp. Eine überraschend große Zahl  von Weltkriegsfliegern bestand zu maßgeblichen Teilen aus Holz. Nicht selten jedoch war Holz mehr als eine Notlösung, es war sogar das ideale Material. Mit hölzernen Flügeln flog etwa der deutsche Jäger Messerschmitt Me 163, noch bis 1953 das schnellste Flugzeug der Welt. Und zu maßgeblichen Teilen aus Holz bestanden auch fünf der acht mit Düsen- oder Raketenantrieben konstruierten, zu Wunderwaffen hochschwadronierten Flugzeuge, die Deutschland bis zur Kapitulation 1945 baute.

Das galt selbst für den geheimnisvollen Nurflügler Horten H IX, der so frappant an heutige "Tarnkappenbomber" erinnert. Die Flügel waren komplett aus Holz, der Rumpf bestand größtenteils aus einem mit Sperrholz beplankten Rohrgerüst. Ebenfalls mit Sperrholz verkleidet war das irrwitzige Einwegraketenflugzeug Bachem Ba 349, mit dem man die Schallmauer zu durchbrechen hoffte.

Der Zweite Weltkrieg markierte den Höhepunkt und zugleich das nahende Ende für Holzkonstruktionen zumindest in der militärischen Luftfahrt. Denn die immer höheren Geschwindigkeiten führten das Material an seine Grenzen. Zudem erwiesen sich das Holz wie auch der eingesetzte Leim als Schwachpunkte in tropischen und subtropischen Breiten - wer will schon in einem Flieger sitzen, der sich verzieht oder auflöst?

Dennoch ist der nachwachsende, so gut zu verarbeitende Werkstoff bis heute nicht ganz aus dem Flugzeugbau verschwunden. So manch leichte, kleine Maschine hat noch immer Holzteile verbaut. Und neben einzelnen Segelflugzeugen entsteht auch die Robin DR 400 von Robin New Aircraft (Frankreich) komplett in Holzbauweise - wie einst die "Mosquito".

Deren Konstruktion aus Trotz und Überzeugung machte Geoffrey de Havilland endgültig zu einem angesehenen Mann. 1944 wurde er in den Adelsstand erhoben.

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Holzflugzeug De Havilland "Mosquito" (1940-1950): Bereits 1938 legte Geoffrey de Havilland der britischen Regierung ein Konzept vor, um Nutzungsanforderungen der Air Force als eine Art Sparmodell zu bedienen. Er wollte einen schnellen, kleinen Bomber aus Sperrholz bauen, der vor allem für Nachteinsätze genutzt werden sollte.

Viel Holz am Himmel: Der Schlüssel zum Erfolg der genialen Konstruktion war die Kombination leichtester Bauweise mit kräftigen Motoren. Die Maschine von Geoffrey de Havillands (im Bild rechts) flog schneller und höher als die meisten Abfangjäger der Deutschen. Erst gegen Kriegsende wurde die Messerschmidt ME 262 zu einer echten Bedrohung für die "Mossies".

Massenfertigung: Die "Mosquito" sollte gebaut werden können, ohne zu viel kriegswichtige Materialien zu verbrauchen. Sperrholz war da ideal - und 7781 Maschinen konnten montiert werden. Sie entstanden teils in Flugzeugwerken, teils auch in Großtischlereien.

Polikarpow Po-2: Der russische Bomber (1928-1954) war bei Kriegsausbruch in jeder Hinsicht ein Klassiker. Der über 40.000-mal gebaute Doppeldecker bestand aus einem Holzrahmen, der im Rumpfbereich mit Sperrholz beplankt wurde - allerdings nur bis zum zweiten Passagiersitz; das Heck wurde wie die Flügel mit Stoff bespannt. Auch das war keine Ausnahme: Der leichte Bomber war nur eines von 19 Holzmodellen, die von den Sowjets im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden.

Airspeed Horsa (1941-1945): Lastensegler wie dieses britische Modell waren als echte Eintagsfliegen konzipiert - man rechnete gar nicht damit, dass dieses "Verlustgerät" seinen Einsatz überleben würde. Sie waren Mannschafts- und Gerätverpackungen ohne eigenen Antrieb - und komplett aus Holz gebaut.

Amerikanischer Lastensegler Waco CG-4AUSAAF: Berühmt wurden diese Primitivflieger vor allem als Truppentransporter bei der Invasion der Normandie. Der Eindruck, Holzflieger seien also eine Art kreative Notlösung für den Massentransport gewesen, täuscht jedoch. Holz war damals in der Fliegerei noch immer eines der meistgenutzten Baumaterialien.

Luftfahrtlegende mit Spitznamen: Die "Storch" genannte Fieseler Fi 156 flog von 1936 bis 1949. Im Zweiten Weltkrieg dienten die aus Holz gebauten Störche als Verbindungsflieger, Aufklärer und Sanitätsflugzeug - und wurden auch deshalb zur Legende, weil sie so langsam fliegen konnten, dass man mit ihnen im Flug Kabel verlegen konnte. Völlig anspruchslos waren sie auch in anderer Hinsicht: Zum Start reichten einem "Storch" 50 Meter Straße, zur Landung 20 Meter.

Die Hawker "Hurricane" (1937-1944) gehörte ebenfalls zu den berühmten Flugzeugen des Zweiten Weltkriegs. Mit über 14.500 gebauten Exemplaren war die Hurricane der meistgenutzte britische Jagdflieger. Auch dieses Kernmodell der englischen Luftverteidigung war im wesentlichen hölzern und basierte auf einem mit Balsaholz beplankten Stahlrohrrahmen. Zusätzliche Gewichtsersparnis wurde an Flächen erreicht, die man mit Stoff statt Holz bespannte.

Reparatur einer Hawker "Hurricane" (1940): Sehr schön zu sehen ist hier die letztlich filigrane Bauweise. Tragend ist der Stahlrohrrahmen, während die eigentliche Hülle leicht und dünn sein musste - und im Falle der Hurricane aus Balsaholz.

Focke-Wulf FW 56 A (1933-1936): Ursprünglich als Ausbildungsflugzeug gebaut, kam die "Stößer" im Krieg als Aufklärer zum Einsatz. Der Materialmix ihrer Konstruktion war zeittypisch: Stahlrohrramen, darauf vorn Blech, hinten Stoff - und die Flügel komplett mit leichtem Holz beplankt.

Zu spät: Dazu, diese Heinkel He 162-Düsenjäger zu montieren, kamen die Deutschen nicht mehr. Lediglich rund 170 Maschinen wurden 1940 bis 1945 gebaut - als Top-Modell des "Jägernotprogramms". Der "Volksjäger" sollte billig zu bauen und leicht zu fliegen sein. Das gelang zwar, doch trotzdem fiel die Bilanz durchwachsen aus. Der "Spatz" setzte Geschwindigkeitsrekorde bis 960 km/h, fiel aber auch häufig im Flug auseinander, weil sein Leim bei hoher Geschwindigkeit aufgab - Holz war eines der wichtigsten Baumaterialien.

Das "Kraftei", das an der Schallmauer kratzte: Mit einer Spitzengeschwindigkeit von 1130 km/h - und damit nur rund 100 km/h unter Schallgeschwindigkeit - war das Raketenflugzeug Messerschmitt Me 163 der schnellste Flieger des Zweiten Weltkriegs und seiner Zeit. Doch auch Hightech dieser Güte glänzte mit einem überraschenden Materialmix: Der Rumpf bestand, wie man erwarten würde, aus Leichtmetall. Die Flügel aber waren aus Sperrholz - und beim Leitwerk kamen sogar wieder stoffbespannte Teile zum Einsatz.

Die russische Iljuschin Il-4 wurde im Laufe des Krieges "verholzt". Wegen wachsenden Materialmangels ersetzten die Konstrukteure zwischen 1940 und 1944 immer mehr Metall-Bauteile durch Holzpressschalen - zu Lasten ihrer Flugeigenschaften. Oft war Holz eben auch Notlösung.

Kyushu-K11: Die Japaner waren kein Freund von Holz. Nur fünf ihrer Flieger wurden mit Holzbauteilen gefertigt, der U-Boot-Jäger Kyushu K11W2 war die einzige mehrheitlich in Holz konstruierte Maschine. Holz galt im pazifischen Krieg zu Recht als problematisches Material: Viele der umkämpften Gebiete hatten tropisches oder subtropisches Klima - was weder dem Baumaterial gut bekam noch dem eingesetzten Leim.

Supermarine Walrus: Das britische Flugboot war als ursprünglich eine Leichtmetallkonstruktion. Wie viele Flugzeugtypen des Zweiten Weltkriegs durchlief sie aber eine Metamorphose: Holz war im Krieg die leichter zu besorgende Ressource. Folglich wurde auch das "Walross" ab 1940 mit der Zusatzbezeichnung "Mark II" mit einem Holzrumpf ausgeliefert.

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