Eva Menasse ist mit "Dunkelblum" zauberhafte Literatur gelungen

2022-10-08 23:01:21 By : Mr. Roger zhang

Eva Menasse, Dunkelblum, 2021, Kiepenheuer & Witsch, gebunden 25 Euro, als Hörbuch 14 Euro.

Eva Menasse erzählt im Roman „Dunkelblum“ vom Verschweigen einer Gräueltat in einem österreichischen Grenzstädtchen. Dass ihr damit eine großartige, zauberhafte Literatur gelungen ist, wird auch im Gespräch mit der Buchhändlerin Anna Rahm deutlich. Die Werkhalle hat den Gästen an einem schönen Herbstabend eine ideale Umgebung geboten.

Aus der Vielzahl an belletristischen Neuerscheinungen habe sie Menasses Roman „Dunkelblum“ als Vorlesestoff gewählt, weil er sie mit besonderer Vehemenz gefesselt hat, sagte Anna Rahm. Wegen Erkrankung der Autorin ausgefallen, wurde die Lesung des 2021 erschienen Werks nun nachgeholt. Eva Menasse betonte, sie sei froh, dass sie neben ihrem politischen Engagement mal wieder Literatur lesen dürfe. Die in Wien geborene Berlinerin ist Mitgründern der Schriftstellervereinigung Pen Berlin.

In genüsslich gedehnter, österreichisch gefärbter Aussprache las Eva Menasse die ersten drei Seiten des Romans, die ihren farbigen, detailreichen Erzählstil vorführen und ein gekonntes Spiel mit der Perspektive. Hinter dem Modellstädtchen Dunkelblum, das dem Roman den Titel gibt, verbirgt sich die burgenländische Kleinstadt Rechnitz, in der im März 1945 über hundert jüdische Zwangsarbeiter getötet und in ein bis heute nicht lokalisiertes Massengrab geworfen wurden.

Eva Menasse hob hervor, in ihrem Roman gehe es nicht direkt um das Kriegsverbrechen, sondern darum wie die Menschen damit umgehen, wie sie es lange verschweigen, ehe es ans Licht kommt. Die Überheblichkeit des Verurteilens will die Schriftstellerin allerdings vermeiden. „Man wünschte Gott, dass er nur in die Häuser sehen könnte und nicht in die Herzen“, heißt es im Roman vielsagend. Anna Rahm sprach vom Zauberwerk der dichterischen Sprache, die das unsagbar Schreckliche aufzudecken vermag.

Die Buchhändlerin bedachte, wie wir heute noch Mühe haben, historische Verbrechen nicht zu verschweigen. Im Roman tritt das verschwiegene Ereignis auf verschiedenen Zeitebenen in Erscheinung. Eva Menasse las das achte Kapitel im dritten Teil des Buches, das die verschiedene Zeiten aus der Perspektive des „geflickten Schurl“ vergegenwärtigt. Ein meisterhaftes Stück Erzählkunst, das einer alten Villa huldigt, einem Obstgarten, um den eine Mauer gezogen wird, und nebenbei auch erklärt, warum die Figur des „geflickten Schurl“ so heißt.

Ein Glossar und ein Figurenverzeichnis erleichtern dem Leser im Roman die Orientierung. Die Namensgebung nehme sie sehr wichtig, sagte die Autorin und verriet, dass sie allen Romanfiguren von Dunkelblum die Namen von Orten gegeben habe, in denen Massaker stattfanden. „Das haben sie verdient!“, setzte sie hinzu. Eva Menasse, die Germanistik und Geschichte studiert und als Redakteurin gearbeitet hat, möchte sich selber und der Leserin erklären, wie Massenmorde und ihr jahrzehntelanges Verschweigen möglich sind.

Der dritte Teil der Lesung handelte von Dunkelblum als Grenzstadt und der Öffnung der Grenze im Jahr 1989. Es scheint unerhört, dass die Einwohner Dunkelblums aus der Not der Flüchtlinge Gewinn schlagen. Auch das sei eine wahre Geschichte, die sie als Journalistin erlebt habe, und normales menschliches Verhalten, gab Menasse zu verstehen. An verschiedene Zeiten erinnert auch der Raum der Werkhalle mit seiner hohen Decke, ehemals Fabrik, heute kreativer Co-Working-Space und Veranstaltungsort.

Eine Zuhörerin stellte die Frage nach der Verantwortung. Die Autorin gab zu, dass es unverzeihlich sei, dass Menschen wie die Figur des Ferbenz, ein Rassentheoretiker, bis in die 1990er-Jahre aus Höflichkeit gedeckt worden seien. Typisch österreichisch sei das Geschehen nicht, antwortete sie auf eine andere Frage. Dass eine in sich verstrickte Gemeinschaft die Untaten in den eigenen Reihen duldet und deckt, sei eine menschliche Konstante und könne überall geschehen.

Eva Menasse, Dunkelblum, 2021, Kiepenheuer & Witsch, gebunden 25 Euro, als Hörbuch 14 Euro.